OLG Frankfurt, Urteil vom 29. Mai 2015 – 24 U 7/15 19.01.2018

Leitsatz   

 Es gilt für das Wetter der Grundsatz aus § 644 Abs. 1 BGB,  dass der Unternehmer vor der Abnahme des Werks dessen Sachgefahr und damit auch das Risiko schlechten Wetters trägt.

 Die Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BGH (VII ZR 138/15) ist zurückgenommen worden   (Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs).

Tenor

     Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 9. September 2014 wird zurückgewiesen.

 

    Die Kosten des zweiten Rechtszuges hat die Klägerin zu tragen. Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der beklagte Kreis Sicherheit in Höhe von 110% des Betrages leistet, dessen Vollstreckung er betreibt.

 

Gründe

 1

    Wegen des Feststellungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 160ff. d. A.) verwiesen.

 

2

    Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihr erstinstanzliches Ziel unverändert weiter. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Der Einzelheiten des zweitinstanzlich Vorgebrachten wegen wird auf die Berufungsbegründung (vom 2. Februar 2015, Bl. 213ff. d. A.) sowie auf den Schriftsatz vom 28. Mai 2015 (Bl. 255ff. d.A.) verwiesen.

 

3

    Die Klägerin beantragt,

 

4

    unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie € 118.316,42 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. März 2012 zu zahlen.

 

5

    Der beklagte Landkreis beantragt,

 

6

    die Berufung zurückzuweisen.

 

7

    Auch er wiederholt und vertieft seine erstinstanzliche Argumentation. Auf die Berufungserwiderung (Bl. 236ff. d.A.) wird verwiesen.

 

8

    Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

 

9

    Zunächst ist auf die eingehende und überzeugende Begründung des angefochtenen Urteils zu verweisen, der sich das Berufungsgericht anschließt. Zu den im Wesentlichen wiederholenden Berufungsangriffen ist zu sagen:

 

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    (1) Der Klägerin steht kein zusätzlicher Werklohn in entsprechender Anwendung von § 2 Nr. 5 VOB(B) in der hier anzuwendenden alten, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (8. Oktober 2009) geltenden Fassung zu, denn sie musste mit dem damals herrschenden Winterwetter bei Vertragsschluss rechnen und konnte entsprechend kalkulieren.

 

11

    a) Laut Auftrag war der streitgegenständliche Rohbau im Winter zu errichten; die Fertigstellung war vertraglich zunächst für die dritte Kalenderwoche 2010 - diese endete mit Samstag, dem 23. Januar 2010 - vorgesehen (vgl. den Auftrag vom 2. Oktober 2009, Anlage K 4).b) Das damals herrschende Wetter war nicht dermaßen außergewöhnlich, dass die Klägerin nicht mit ihm hätte rechnen müssen und es hätte einkalkulieren können, gegebenenfalls durch eine entsprechende Anpassungsklausel.

 

12

    Nach dem auf der Erfassung durch den Deutschen Wetterdienst beruhenden Vortrag der Klägerin (vgl. die "Klimadaten", im nicht foliierten Anlagenband, dort ab dem post-it-Zettel "Wetter", sowie die Wiederholung dieses Vortrags auf S. 8 des Schriftsatzes vom 29. Mai 2015) gab es im Dezember 2009 zwei, im Januar 2010 elf und im Februar 2010 sechs "Eistage" (mit Dauerfrost, Temperatur nie über Null) mehr als im Durchschnitt der Jahre von 1987 bis 2006. Extreme Tiefsttemperaturen waren - unter -15 °C fiel das Thermometer an keinem Tag - nicht zu verzeichnen; nur an insgesamt vieren der "Eistage" wurden überhaupt zweistellige Minusgrade als Tiefsttemperaturen verzeichnet. Mit solchem mäßigen Frost muss im Winter gerechnet werden; es handelt sich um keine "außergewöhnliche" Wetterlage. Dasselbe gilt für die Schneehöhen (Vortrag der Klägerin dazu im Anlagenband aaO.), die nur an sechs Tagen mehr als 10 cm (maximal 15 cm) betrugen. Räumen war daher möglich; von einer "meterhohen" Schneedecke kann nicht die Rede sein.

 

13

    c) Für das Wetter gilt der Grundsatz aus § 644 Abs.1 BGB, dass der Unternehmer vor der Abnahme des Werks dessen Sachgefahr und damit das Risiko schlechten Wetters trägt. Der Klage gelingt es auch im zweiten Rechtszug nicht, aus der Rechtsprechung Belege für ihre Auffassung anzuführen, eine Winterwetterlage wie die hier gegebene verpflichte den Besteller des Bauleistungen dazu, die Kosten für den witterungsbedingten Mehraufwand - sei es für die aus der Verzögerung der Bauausführung dem Unternehmer erwachsenen Kosten, sei es für die Kosten besonderer Winterbaumaßnahmen - zu tragen. Die von der Klägerin zitierte (S. 19 unten der Berufungsbegründung, Bl. 231 d. A.) Entscheidung des BGH VII ZR 185/98 hat mit schlechten winterlichen Witterungsbedingungen nichts zu tun; hier war die Verzögerung auf kausale Planungs- und Koordinationsfehler eines vom Besteller hinzugezogenen Unternehmens zurückzuführen. Die Wiedergabe der weiteren (aaO.) dort von der Klägerin angeführten Entscheidung, des LG Cottbus (Baurecht 2010, 1111), beschränkt sich in der zitierten Quelle auf den Leitsatz und lässt nicht erkennen, worin die von diesem Gericht zu beurteilenden außergewöhnlichen Witterungsverhältnisse bestanden haben.

 

14

 

    Das Urteil des BGH vom 21. März 2002 zu VII ZR 224/00 betrifft einen anderen Fall: hier führten zu spät fertiggestellte Bewehrungspläne erst zu einer Verlagerung der Bauausführung in den Winter. Das Berufungsgericht schließt sich dem bereits oben zitierten, von der Klägerin bekämpften Urteil des OLG Brandenburg aaO. an, wonach keine Obliegenheit des Bestellers gegenüber dem Unternehmer bestehe, diesem "ein für die Bauausführung auskömmliches Wetter zur Verfügung zu stellen" (vgl. dort Randnummer 40).

 

15

    d) Nicht zu folgen vermag das Berufungsgericht auch den Überlegungen der Klägerin zu § 642 BGB (vgl. dazu S. 17 bis 20 der Berufungsbegründung; Bl. 229ff. d.A.). Schon deren Ausgangspunkt, wegen des Frostes bzw. der Schneedecke habe der beklagte Kreis eine Mitwirkungs-Verpflichtung iSv. § 642 Abs. BGB verletzt, weil er - temporär - kein bebaubares Grundstück zur Verfügung gestellt habe, ist nicht überzeugend. Das Grundstück nämlich stand durchgängig zur Verfügung, seine ihm inhärenten Eigenschaften, insbesondere seine Erreichbarkeit und Tragfähigkeit, standen der weiteren Bebauung nicht entgegen. Sofern ungeeignetes Wetter war, haftete dies dem Grundstück nicht als Eigenschaft an; das gilt insbesondere für die herrschende Temperatur, aber auch für die räumbare Schneedecke von hier höchstens 15 cm. Dass nicht weitergebaut werden konnte, lag nicht am Grundstück, sondern am Wetter und daran, dass die Klägerin Vorkehrungen für einen Winterbau nicht getroffen hatte.

 

16

    e) Schließlich ist die Erwägung der Klägerin (S.19 unten/20 oben der Berufungsbegründung, Bl. 231f. d.A.) nicht zwingend, der Besteller habe es in der Hand, durch seine Ausschreibung festzulegen, wann gebaut werde, und müsse daher die Kosten tragen, die durch das gewählte Risiko einer witterungsanfälligen Winterbaumaßnahme entständen. Auch der Unternehmer weiß um die für die vertragsgemäße Bauausführung vorgesehene Zeit und kann sich seinerseits bei seiner Kalkulation mit den Zusatzkosten für Winterbaumaßnahmen bzw. durch Eindeckung entsprechender Versicherungen darauf einstellen.

 

17

    (2) Der beklagte Kreis hat die streitgegenständliche Mehrforderung, das Nachtragsangebot 06 vom 17. Mai 2010, nicht in dem Sinne anerkannt, dass sich die Parteien zusätzlich zum ursprünglichen Vertragsinhalt auf die Bezahlung dieser Mehrforderung geeinigt hätten.

 

18

    a) Zu Recht hat das Landgericht den Abschluss einer derartigen Einigung bei der Besprechung am 16. August 2010 nicht als bewiesen betrachtet.

 

19

    Zwar wurde unstreitig über die Zahl der Schlechtwettertage verhandelt, und war es Verhandlungsergebnis, dass nur 34 davon von der Zeugin Z1 und dem Architekten A anerkannt würden, worauf die Klägerin sich auch einließ und ihre Nachforderung senkte. Daraus ist aber allenfalls zu schließen, dass eine erste Voraussetzung - eben die Zahl der Schlechtwettertage - von der Zeugin und dem Architekten für berechtigt erklärt worden sein mag. Dass der Kreis für die dadurch angeblich verursachten Mehrkosten hätte aufkommen wollen, folgt daraus nicht; die Zahl der Schlechtwettertage mag eine notwendige, sie ist aber keine hinreichende Bedingung für die Berechtigung der Nachforderung.

 

20

    b) Die Klägerin hat ferner nicht nachgewiesen, dass die Zeugin Z1 wirksam erklärt hat, der beklagte Kreis verpflichte sich zur Zahlung der streitgegenständlichen knapp 100.000 €. Keine der Voraussetzungen, die § 45 Abs. 2 der Hessischen Landkreisordnung (HKO) für eine rechtsverbindliche Verpflichtung des Landkreises aufstellt, ist erfüllt:

 

21

    - Unstreitig hat die Zeugin Z1 keine schriftliche Erklärung für den Kreis abgegeben, das Nachtragsangebot werde bezahlt. Daher kommt es nicht darauf an, dass eine solche Erklärung zudem - wie beim Auftrag (K 4) geschehen -, um wirksam zu sein, vom Landrat oder seinem allgemeinen Vertreter und einem weiteren Mitglied des Kreisausschusses hätte unterschrieben sein müssen, da es sich vorliegend nicht um ein laufendes Geschäft des Landkreises von nicht erheblicher Bedeutung gehandelt hat.

 

22

    - Eine formwirksame Vollmacht nach § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 HKO hat die Zeugin Z1 unstreitig nicht vorgelegt, und sie besaß auch keine.

 

23

    c) Im Anschluss an das in der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2015 Erörterte bemerkt das Berufungsgericht zu den auf die Nachtragsvereinbarung vom 28. August 2010 (E-Mail) und den Prüfvermerk der Architekten vom 29. November 2010 gestützten Berufungsangriffen (S. 14 bis 16 der Berufungsbegründung, Bl. 226ff. d. A.) das Folgende:

 

24

    - Ebenso wenig wie der Architekt A war die Zeugin Z1, um eine Verpflichtung des Beklagten zu vermeiden, rechtlich gehalten, deutlicher als geschehen gegen die Nachforderung der Klägerin in der E-Mail vom 20. August 2010 zu protestieren. Die von der Klägerin allgemein für eine stillschweigende Bevollmächtigung eines Bauverhandlungen führenden Mitarbeiters angeführten Gründe verfangen hier nicht. Zwar mag es sein, dass ein Bauherr sich dann an das von seinem - nicht ausdrücklich und nicht formgerecht bevollmächtigten - Vertreter in Baubesprechungen Erklärte halten muss, wenn der Baufortschritt, für den Bauherrn offensichtlich, seine sofortige Mitwirkung durch das Treffen einer Entscheidung erforderte, und der nicht wirksam bevollmächtigte Vertreter diese eilbedürftige Erklärungen abgegeben hat. Denn es kann sich, wie die Klägerin selbst das Urteil des BGH vom 27. 1. 2011, Baurecht 2011, 669, zitiert (S. 16 Mitte der Berufungsbegründung, Bl. 228 d.A., letzter Satz vor dem Unterstrichenen), "die Notwendigkeit erweisen, auf veränderte Verhältnisse zu reagieren oder noch offene Fragen zu klären." Vorliegend bestand aber - die Winterbauarbeiten lagen Monate zurück - keinerlei Notwendigkeit, eilig eine Entscheidung zu treffen. Nichts hätte die Klägerin gehindert, eine den Vorschriften der Landkreisordnung entsprechende Vereinbarung über die Zahlung des streitgegenständlichen Nachtragsangebots herbeizuführen. Die Klägerin hat auch nicht etwa in einem für den beklagten Kreis erkennbaren und daher schützenswerten Vertrauen auf

 

25

    - ein ihr günstiges Verhandlungsergebnis in die Sitzung vom 16. August,

 

26

    - den Nicht-Widerspruch des Beklagten gegen die E-Mail vom 20. August und

 

27

    - den Prüfungsvermerk der Architekten vom 29. November irgendwelche weiteren Aufwendungen getroffen.

 

28

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO; das Rechtsmittel der Klägerin war erfolglos. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

29

    Die Revision war - entgegen einer entsprechenden Anregung der Klägerin - nicht zuzulassen. Es handelt sich sowohl bei der Verneinung einer aus VOB(B) bzw. BGB hergeleiteten Einstandspflicht des Beklagten für Mehrkosten wegen des Wetters, als auch bei der Ablehnung einer rechtlich den Beklagten bindenden Anerkennung durch die Zeugin Z1 bzw. den Architekten A um eine auf der rechtlichen Bewertung eines spezifischen Sachverhaltes beruhende Einzelfallentscheidung, die höchstrichterlich zu klärende Rechtsfragen nicht aufwirft.